Hätte, hätte Fahrradkette! Chris Bartle (69) und Hans Melzer (70) – von 2001 bis 2016 waren sie das erfolgreichste Trainergespann der Welt, seither sind sie Konkurrenten.

Beim letzten Kräftemessen der beiden bei der EM im Schweizerischen Avanches ging Chris Bartle einmal mehr als verdienter Sieger aus dem Stadion: Mannschaftsgold und alle drei Einzelmedaillen! Dickes Kompliment! Nicola Wilson holt sich den EM-Titel vor Piggy March und Sarah Bullimore! Für das deutsche Quartett gibt’s immerhin Silber. Bester deutscher Reiter einmal mehr Michael Jung! Leider nur auf Rang vier!

Kurz zur Erinnerung: Wäre es nach der FEI gegangen, hätte es im olympischen Jahr 2021 gar keine Europameisterschaften gegeben. Ein Zeichen dafür, dass man in „unserem“ Weltverband mitunter ziemlich weit entfernt ist von dem, was die Aktiven denken und wünschen.

Immerhin, deren konstruktiver Druck war am Ende so stark und überzeugend, dass die FEI die Springreiter-EM an den Ausrichter Ludger Beerbaum vergab, die Dressur-EM an den Ausrichter Ulli Kasselmann und die EM der Buschreiter an das Schweizerische Avanches. Vergessen wir nicht, dass es Michael Jung war, der sich als erster konsequent und vehement für die Vergabe an die Eidgenossen stark gemacht hat. Mit Erfolg.

Ihm selbst blieb auch gegen Ende dieser von der Pandemie beherrschten Saison das Pech ein wenig am Stiefel kleben. Ausgerechnet der Schweizer Dressurrichter Christian Landolt setzte Fischer Wild Wave auf Rang 14, seine Kollegen wiesen ihm die Ränge vier und sechs zu – eine peinliche Benachteiligung! Landolt mäkelte am Schritt des Holsteiners herum, senkte den Daumen darüber – weshalb seine Kollegen dies ganz anders sahen? Beredtes Schweigen. Hier nochmal die Punkte: Landolt 151,5, die Kollegen vergaben 162,0 und 166,0. Noch Fragen?

In der klassischen Dressur hat man die Zahl der Richter erhöht, um mehr Gerechtigkeit zu erlangen, um unfaire Richterurteile auszugleichen. Inzwischen sitzen bei Olympischen Spielen und anderen internationalen Höhepunkten sieben Richter ums Viereck herum. Katrina Wüst, zuletzt als Richterin in Tokio, sagte mir hernach:

„Mit sieben Richtern steigt die Quote der Gerechtigkeit um 20 Prozent, bei nur fünf Richtern um 14 Prozent.“

Nein, so viele wie in der großen Dressur brauchen wir in der Vielseitigkeit nicht, wohl aber wären fünf angezeigt, wenn’s um Titel und Medaillen geht! Mein persönliches Votum. Wer sich die Mühe macht, das Tableau von Avanches penibel durchzusehen, der findet auch Kurioses bei anderen Reitern. Weshalb ist eigentlich die Richterei bei den Buschreitern häufig so ein bitterer Quell der Freude?

Der Geländeritt über knapp 5800 Meter mit 32 Hindernissen, zu reiten in zehn Minuten und zehn Sekunden, liest sich am Ende dieses strahlend schönen Samstags zunächst ganz einfach: 67 Pferde am Start, sieben Pferde fehlerfrei, neun Pferde nicht im Ziel, davon zwei aufgegeben, sieben ausgeschieden. Am härtesten trifft es Rosalind Canter, die Weltmeisterin von Tryon 2018: In Führung liegend, muss sie zwei Steher hinnehmen – Absturz auf Rang 55.

Anna Siemer und ihr Butts Avondale liegen 1,6 Sekunden über der Zeit; die Debütantin bei ihren ersten großen Championat berichtet hernach mit Begeisterung von der wissenschaftlichen Begleitung ihres Reitens. Darüber müsste die reiterliche Öffentlichkeit umfassend informiert werden! Christoph Wahler, als Einzelreiter gestartet, kommt mit nur 0,8 Strafpunkten ins Ziel, ist happy mit seinem Carjatan, der tags zuvor in der Dressur guter Zwölfter war. Hoffentlich wird er bald mal ein Teamreiter sein.

Andreas Dibowski räumt ohne Umschweife ein, dass er seinen eigenen Erwartungen nicht gerecht werden konnte – 15,2 Strafpunkte für die überzogene Zeit. Er hätte mehr Risiko eingehen müssen. Seine Corrida sei nicht so leicht zu handhaben wie die flinken Pferde, gegen Ende des Kurses habe er auch eine gewisse Müdigkeit seines Pferdes gespürt. Dirk Schrade lobt seinen Casino über den grünen Klee, sieht in ihm eine Kracher für künftige Championate – er selbst räumt ein, zu forsch losgaloppiert zu sein: Vorbeiläufer an Hindernis 4! Schade für Schrade!

Michael Jung, der kein kritisches Wort über die Dressurnote von Christian Landolt verliert, lobt seinen fischerWild Wave zu recht; der Holsteiner kommt bei 9.56 Minuten ins Ziel, rückt auf Rang sechs vor. Zitat:

„Der sieht zwar nicht so danach aus, aber der hat Klasse und kann alles!“

Ingrid Klimke und ihr Hale Bob kommen mit 1,2 Strafpunkten über die Ziellinie – zur Sicherheit hat die zweifache Europameisterin an einer Stelle den etwas leichteren Weg genommen im Interesse des Teams. Deutschland hält Rang zwei, die Briten schon jetzt (fast) uneinholbar an der Spitze. Alles sieht danach aus, dass Chris Bartle den letzten offiziellen Kampf gegen Hans Melzer klar und deutlich gewinnen wird.

Zum Finalspringen sind es dann nur noch 51 Pferde. Der Parcours erweist sich rasch als deutlich zu leicht – bei 24 fehlerfreien Ritten! Am Ende gehen drei Pferde mit ihrem Dressurresultat durchs Ziel: Nicola Wilson auf JL Dublin, die neue Europameisterin, mit 20,9 Punkten, sodann Piggy March auf Brookfield Inocent, die neue Vizemeisterin, mit 23,3 Punkten sowie Michael Jung auf FischerWild Wave mit 23,9 Punkten – was leider nur zu Rang vier reicht!

Klar und kritisch sei’s gesagt: Christian Landolt, der Schweizer Dressurrichter, hat Michael Jung benachteiligt und um die Medaille gebracht, womöglich sogar um den Titel! Michael Jung sagt selbst: „Es lag am Schweizer Richter!“ Wirklich schade, dass Ingrid Klimke mit ihrem Hale Bob die zum Greifen nahe Medaille verliert durch einen Abwurf, quasi schon auf der Zielgeraden. Das erinnert uns leider an den vergebenen WM-Titel 2918 in Tryon. Schade, dass sie am Ende kein selbstkritisches Wort findet – für sie war alles schön und toll. Na dann.

Immer wieder wird ja von den Aktiven und den Trainern der schöne Satz gesagt: Wir sind hier nicht auf einem Dressurturnier! Offen gestanden, ich kann diesen Satz nicht mehr hören! Schließlich noch dies: Wie gut, dass es das Streichresultat gibt! Wie gut, dass wir bei Europameisterschaften die alten Regeln noch haben, wonach vier Reiter eine Equipe bilden und nicht nur drei wie in Tokio!

Fazit: Der Reiterfamilie Vogg, die in Radolfzell am Bodensee ansässig ist, verdanken die Buschreiter diese schöne EM auf dem historischen Grund und Boden der Rennbahn von Avanches! Dickes Kompliment! Das zeigt, welche Kraft, welche Passion und wieviel Durchsetzungsvermögen es in der Szene der Buschreiter gibt! Wenn alle zusammenstehen, das ist eine der Lehren aus diesem Jahr 2021, das können sie etwas bewegen.