Aachen im Sommer 1986: Zwei historische Ereignisse bleiben mir unvergessen: HG Winkler beendet seine große Reiterkarriere mit einer letzten Ehrenrunde im gestreckten Galopp. Stehende Ovationen und Tränen der Rührung. Und Gail Greenought, unbekannte Kanadierin, gewinnt auf dem Hannoveraner Mr. T sensationell den WM-Titel. Kein Zweifel, auf dem historischen Geläuf der Soers, wo seit 1924 internationaler Reit- und Fahrsport betrieben wird, ist vielerlei Geschichte geschrieben worden. Demnächst kommen zwei Kapitel hinzu: Der Abschied von Ingrid Klimkes Hale Bob und von Simone Blums Alice aus dem Sport.

Ich kenne das Aachener „Tschio“, wie es die Rheinländer liebevoll nennen, seit den sechziger Jahren. Damals, als „Stift“ bei Reitmeister Robert Schmidtke, kam ich 1968 zum ersten Mal in die Soers – allerdings nicht zum CHIO, sondern weil es im nahen Würselen ein rheinisches Reit- und Springturnier gab. Die Aachener stellten großzügig ihre festen Stallungen zur Verfügung, also ritt man morgens von der Soers hinauf nach Würselen, nach den Dressuren ging’s zurück in die Aachener Stallungen. Durchaus ein Erlebnis für den Jungspund aus dem Schwäbischen. 1976 bin ich erstmals als Jungreporter in die Soers zurückgekehrt, wohnte übrigens in einem Hotel in Würselen, lernte beim Frühstück Herbert Krug und seine Frau kennen. Unvergessliche Tage.

Nach diesem Exkurs zurück in das Jahr 1986. Hans Günter Winkler, der 1955 auf seinem Orient erstmals Weltmeister geworden war in der Soers, trat damals von der großen Bühne des aktiven Sports ab. Das Pferd für seine allerletzte Ehrenrunde hatte er sich geliehen, soweit ich mich erinnere. Den Namen des Pferdes hab‘ ich vergessen, die Szene allerdings nicht. Für mich spiegelt sich in HGW’s Leben bis heute die Geschichte unserer Bundesrepublik von den ersten Nachkriegsjahren an. „Wir sind wieder wer!“ So lautete das Motto. Und HGW verkörperte dies ebenso wie Fritz Walter und Uwe Seeler. Seit dieser Zeit ist die Aachener Soers ein Begriff: Das Reitturnier schlechthin.

Wo also gäbe es einen besseren Platz als die Soers, um große Karrieren zu beenden und unsterblich zu werden?! Vor einem Jahr gewährten die Aachener zum Abschied von Bella Rose „ihrer“ Isabell Werth eine 45-minütige Gala im Dressurstadion. Unvergesslich für alle diejenigen, die diesen Abend miterlebt haben. Eine ähnliche Gala wird’s wohl so bald nicht mehr geben. Wobei ich weder Ingrid Klimke noch Simone Blum zu nahe treten möchte.

Simone Blum erinnert mich ein wenig an die bereits erwähnte Gail Greenought. Gail kam 1986 zur Springreiter-WM nach Aachen als in Europa völlig unbekanntes Mitglied der kanadischen Equipe um Ian Millar. Sie gewann, unbekümmert, immer forsch nach vorne reitend, den Titel im Finale mit Pferdewechsel! Übrigens gegen Nick Skelton, Conrad Homefeld und Pierre Durand. Als Simone Blum auf ihrer Fuchsstute Alice 2018 in Tryon den WM-Titel gewann, war sie zwar nicht so unbekannt wie Gail, die allererste Frau mit WM-Titel – eine Sensation war der Erfolg der studierten Lehrerin aus  Bayern aber allemal.

Heute ist Alice, eine Tochter des Hengstes Askari, 16 Jahre alt. Simones Mann Hans Günter Goskowitz hatte dieses Pferd 2014 entdeckt und seine spätere Frau zum WM-Titel geführt. Seit 2016 ging die Stute auf der großen internationalen Bühne, gewann 2017 in der Schleyerhalle den German Master-Titel, war 2018 Mitglied der siegreichen deutschen Equipe beim Nationenpreis in der Soers. Bei der EM 2019 in Rotterdam ging sie letztmals bei einem wichtigen Championat. Danach wurde sie verletzt, konnte an die erfolgreiche Zeit nicht mehr anknüpfen. Schade. Am Aachener Donnerstagabend, in der Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Umlauf des Nationenpreises, wird Simone ihre Alice zum letzten Male vor großem Publikum zeigen. Mehr als nur eine Fußnote in den Annalen unseres Sports.

Gleiches gilt für den inzwischen 19-jährigen Hale Bob von Ingrid Klimke, der am Aachener Samstag, wenn die Sieger in der Vielseitigkeit geehrt werden, verabschiedet wird. Der Sohn des Hengstes Helikon xx, Topvererber für beste Buschpferde, hat um die siebzig Wettkämpfe bestritten, lief 2016 in Rio in der deutschen Equipe, die Teamsilber holte, war 2017 in Strzegom sowie 2019 in Luhmühlen Europameister, verlor 2018 in Tryon am letzten Sprung den greifbar nahen WM-Titel. 2022, also vor einem Jahr, verletzte sich Hale Bob beim Testevent vor der WM in Pratoni so schwer, dass seine Karriere abrupt beendet war: Sehnenabriss.

Ingrid Klimke sagt, ihr Hale Bob sei völlig wieder hergestellt, werde seinen Lebensabend bei ihr auf der Weide verbringen. Alle ihre gemeinsamen Erfolge aufzuzählen, ist hier nicht möglich. Hale Bob hat’s redlich verdient – ein Verlasspferd im besten Sinne. Blickt man auf den aktuellen Beritt der erfahrenen Reitmeisterin aus Münster, so zeigt sich, wie schwer es ist, ein Buschpferd für die ganz großen Prüfungen auszubilden und vor allem auf Spitzenniveau zu halten.

Wir stehen ja, ganz aktuell betrachtet, ein Jahr vor den olympischen Spielen in Paris. Und obwohl es nur drei Startplätze gibt, ist völlig offen, wen Bundetrainer Peter Thomsen zu gegebener Zeit nominieren wird (oder kann). Der anstehende Wettkampf in der Soers wird uns hoffentlich einigen Aufschluss darüber geben, wohin die Reise gehen könnte.

Da fällt mir die unvergessene Reporterlegende Hans Heinrich Isenbart ein. Sein kluger Rat an uns alle sei hier ins Gedächtnis gerufen: „Vergessen Sie die Pferde nicht!“ In diesem Fall meine ich Alice und Hale Bob.