Satchmo bricht wieder aus – Drittes Einzelgold für Anky van Grunsven – Bronze für Heike Kemmer

Die erneute Widersetzlichkeit ihres 14-Jährigen Satchmo hat Isabell Werth den Olympiasieg gekostet. Anky van Grunsven aus den Niederlanden triumphierte auf Salinero und holte sich zum dritten Mal hintereinander das Einzelgold. Heike Kemmer auf Bonaparte gewann verdient Bronze.

Um 22.11 Uhr Ortszeit kannte die Freude bei Anky van Grunsven und ihrem zahlreichen Anhang mit den Oranje-Fahnen keine Grenzen. „So ist der Sport“, sagte die dreifache Olympiasiegerin in der Einzeldressur, unmittelbar nach ihrem Triumph. Ein Sicherheitsritt auf ihrem 14-jährigen Hannoveraner Salinero hatte der 40-Jährigen genügt, um den Goldmedaillen mit Bonfire in Sydney und mit Salinero in Athen jetzt den dritten Sieg folgen zu lassen. Im Blick auf ihre deutsche Dauerkonkurrentin sagte Grunsven:

„Wir Reiter wissen, dass dich die Pferde jeden Tag aufs neue herausfordern und überraschen können. Das ist Isabell heute passiert. Ich war vor meinem Ritt total nervös. Ich kann es noch gar nicht fassen, wieder Gold zu haben.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die geschlagene Isabell Werth in die hermetisch abgeriegelten Stallungen von Sha Tin zurückgezogen, um die bitterste Niederlage ihre glanzvollen Karriere einigermaßen zu verdauen.

Dass es an diesem Sommerabend mit 28 Grad und 83 Prozent Luftfeuchtigkeit nicht zu Gold reichen würde, hatte die 38-Jährige bereits während ihrer mit Höchstschwierigkeiten gespickten Kür gemerkt: „In der Piaffenpirouette hat sich Satchmo an den Zwischenfall im Grand Prix Spezial erinnert und ist wieder rückwärts weggestürmt. Er ist eben ein besonders sensibles Pferd. Ich habe es nicht geschafft, in den letzten Tagen sein Vertrauen zurück zu gewinnen.“

Wenn bei der erfolgreichsten Dressurreiterin der Welt der Stress am höchsten ist, entlädt sich ihre Anspannung häufig in Tränen der Freude oder der Wut, denen sie ungezügelt freien Lauf lässt. Gestern war das zum erstenmal anders: „Satchmo hat den Zwischenfall vom vergangenen Samstag offenbar nicht vergessen. Ich kann mir das alles nicht erklären.“ Dabei wurden für die amtierende Weltmeisterin in der klassischen Tour schwierige Erinnerungen wach: Vor Jahren hatte Satchmo bereits diese Widersetzlichkeiten gezeigt und sie die Olympiateilnahme in Athen gekostet.

Durch eine Augenoperation 2005 schienen die Probleme behoben, jetzt sind sie plötzlich wieder aufgebrochen: „Dass mir das ausgerechnet hier bei den Olympischen Spielen passiert, ist natürlich bitter.“ Aber mit einem ersten Lächeln im Gesicht nach der Niederlage sagte sie: „So ist das Leben. Ich kämpfe weiter. Mitte November werde ich Satchmo in der Schleyerhalle vorstellen – dann hoffentlich ohne Patzer.“ Die Silbermedaille war für Isabell Werth die zweite ihrer Karriere: 2000 in Sydney war sie mit Gigolo erstmals der Niederländerin auf ihrem Bonfire unterlegen.

Unter dem dramatischen Zweikampf zwischen Anky van Grunsven und Isabell Werth wurde der übrige Wettkampf fast erdrückt. Dabei feierte Heike Kemmer aus Verden mit ihrem 15-jährigen Hannoveraner Bonaparte den größten Erfolg ihrer Laufbahn. Sie sicherte sich, hart bedrängt von dem US-Amerikaner Steffen Peters auf Ravel, die Bronze – die erste Einzelmedaille nach Mannschaftsgold in Athen und in der vergangenen Woche in Hongkong. „

Eine Einzelmedaille bei den Olympischen Spielen, das war mein ganz großer Traum. Heute ist er in Erfüllung gegangen, mein Pferd ist hier in Hongkong so gut gegangen wie noch nie in seiner Laufbahn.“

Mit den beiden Medaillen von Isabell Werth und Heike Kemmer sind die deutschen Reiter mit dreimal Gold, einmal Silber und einmal Bronze wieder die beherrschende Nation des olympischen Reitturniers, ungeachtet der Frage, wie morgen Abend das Einzelfinale der Springreiter ausgeht. Reiterpräsident Breido Graf Rantzau hatte vor Beginn der Spiele gesagt: „Ich erwarte fünf Medaillen, davon zweimal Gold.“ Gestern sagte Rantzau: „Vielleicht hat Isabell nach den Problemen am Samstag ein bisschen zuviel riskiert.“