Meredith Michaels-Beerbaum pflegt einen unkonventionellen Reitstil – mit großem Erfolg

Berühmte Sportler sind die großen Vorbilder der Jugend. Das gilt auch für die Springreiterin Meredith Michaels-Beerbaum. Doch ihre Art und Weise, mit Pferden über Hindernisse zu springen, findet sich in keinem Lehrbuch. Der Zweck heiligt die Mittel.

Sie misst kaum mehr als einen Meter sechzig und sie wiegt wohl deutlich weniger als fünfzig Kilogramm. Ohne viel Mühe könnte sie den strengen Regeln des Galoppsports gerecht werden und Rennpferde reiten. „Ich esse vernünftig, trinke kaum Alkohol, ich lebe sehr diszipliniert und halte mich durch das tägliche Reiten fit“, sagte die 37-Jährige jetzt in Aachen, wenige Wochen vor den olympischen Reiterspielen in Hongkong. Bei dem medizinischen Test, dem sich alle Olympiaaspiranten unterziehen mussten, habe sie sehr gut abgeschnitten.

„Ich bin fit und motiviert, ich mache mir um meine Kondition keine Gedanken.“

Und wie bereitet sie ihre Pferde auf die Spiele vor – den 15-jährigen Hannoveraner Wallach Shutterfly, der als das beste Springpferd der Welt gilt und ihre Nummer eins ist, oder den 13-jährigen Hannoveraner Ceckmate, der nur dann zum Einsatz kommt, wenn Shutterfly krank werden oder sich verletzten sollte? Michaels-Beerbaum sagt:

„Das Klima in Hongkong bereitet mir einige Sorgen. Damit die Pferde möglichst gut damit zurecht kommen, mischen wir Salz in ihr Futter, so bleibt mehr Wasser im Körper. Auf diese Weise können sie nach den Anstrengungen die hohe Luftfeuchtigkeit besser vertragen.“

In den letzten Monaten hat die in Los Angeles geborene Tochter des US-Filmproduzenten Richard Michaels die nationale und internationale Konkurrenz fast zur Verzweiflung getrieben. Durch ihre Siege im Weltcupfinale von Göteborg sowie in diversen Großen Preisen, etwa in Wiesbaden und Cannes, nicht zuletzt durch den klaren Erfolg bei der deutschen Meisterschaft, hat sie ihre Position als Nummer eins der aktuellen Weltrangliste und als Nummer eins in der deutschen Equipe für Hongkong gefestigt.

„Meredith ist auf jeden Fall dabei“, sagt Bundestrainer Kurt Gravemeier – und wäre es auch „nur“ mit Ceckmate, den sie selbst „mein 1b-Pferd“ nennt.

Wenn Meredith Michaels-Beerbaum in diesen Tagen des traditionsreichen CHIO-Turniers durch die Soers geht, ist sie rasch von Autogrammjägern umringt – es sind viele junge Mädchen, die der einstigen Ponyreiterin, die mit 13 Jahren ihre ersten Turniererfolge hatte, kräftig nacheifern. Doch der Versuch, diesen unkonventionellen Reitstil nachzuahmen, wäre zum scheitern verurteilt.

Denn der kleine blonde Star, der in jedem Wettkampf kompromisslos auf Sieg reitet, agiert im Sattel auf eine Art, die sich nicht kopieren lässt: Über den Hindernissen streckt sie ihre Unterschenkel nach vorne – in sämtlichen Lehrbüchern steht, man solte sie zurücknehmen und eng an den Pferdeleib pressen.

Anstatt die Zügel kurz zu fassen, um eine enge Verbindung zum Pferdemaul zu halten, wie es etwa ihr Schwager Ludger virtuos beherrscht, prescht Meredith mit „Fahrleinen“ über den Parcours – Fahrleinen sagen die Reiter, wenn jemand die Zügel allzu lang lässt, eigentlich ein strenger Kritikpunkt.

Zu allem Überfluss hält Meredith auch die Hände ziemlich hoch vor dem Oberkörper, obwohl die Zügel nach den klassischen Regeln der Reitkunst fest am Pferdehals, allenfalls kurz über dem Widerrist geführt werden sollten. Niemand sonst im weltweiten Turnierzirkus weicht derart krass von allen geschriebenen und ungeschriebenen Ratschlägen ab.

Doch Meredith Michaels-Beerbaum will von all dem nichts wissen: „Die deutsche Art, Springpferde zu trainieren, liegt mir nicht. Ich habe als Jugendliche bei meinem Trainer George Morris das leichte amerikanische Reiten gelernt. Shutterfly und Ceckmate sind sehr speziell, sie brauchen im Parcours ihre Bewegungsfreiheit, sie lassen sich nicht streng dirigieren oder gar einengen.“ Also habe sie diesen Stil entwickelt – sie rate niemandem, den nachzuahmen.

Sie sei eben eine Individualistin. Und sie nehme das damit verbundene Risiko in Kauf. Am Mittwochabend beispielsweise, im Stechen um den Großen Preis von Europa, war es eindeutig zu viel: „Ich wollte unbedingt den Sieg, also habe ich das Tempo übertrieben – Ceckmate verweigerte, was er äußerst selten tut.“ Am Ende nur Platz 13.

In Hongkong soll alles ganz anders laufen: „Ich bin die Favoritin. In dieser Rolle fühle ich mich wohl, denn darin drückt sich ja auch der Respekt der Konkurrenten vor meinen Erfolgen aus“, sagt Michaels-Beerbaum. Für sie sei ihre erste Olympiateilnahme ein Traum:

„Schon als Elfjährige habe ich meiner Mutter geschrieben, dass ich einmal die Goldmedaille gewinnen möchte.“ Nun empfinde sie es als „große Ehre, die erste Frau zu sein, die in einer deutschen Reitermannschaft bei olympischen Spielen antritt“.

Diese Chance habe sie sich über viele Jahre hart erkämpft. Einen Wermutstropfen sieht sie bei Olympia doch: „Ich finde es schade, dass wir Reiter separat in Hongkong antreten müssen. Auf diese Weise bekommen wir das olympische Flair gar nicht mit. Ich hätte gerne andere Spitzensportler kennen gelernt und an der Eröffnungsfeier teilgenommen – daraus wird leider nichts.“