Der 16-jährige Sam glänzt auch im olympischen Dreikampf aus Dressur, Geländeritt und Vielseitigkeit. Deutsches Team gewinnt im Endspurt noch die Silbermedaille.
Im Centro Hipismo von Deodoro ist gestern die jahrelange Siegesserie der deutschen Buschreiter zwar gerissen, aber ihre Aufholjagd, drei fehlerfreie Runden im Mannschaftsspringen durch Michael Jung auf Sam, Sandra Auffahrt auf Opgun Louvo und Ingrid Klimke mit Hale Bob, war sehenswert und brachten unerwartet Silber. Allein der dritte Olympiasieg von Michael Jung und dem 16-jährigen Württemberger Sam war das Eintrittsgeld wert. Der 34-Jährige Berufsreitlehrer aus Horb unterstreicht seinen Ruf, der beste Reiter der Welt zu sein. Obwohl noch jung an Jahren, gilt Michael Jung seit gestern als lebende Legende seines Sports.
Nur die Franzosen konnten dem deutschen Druck auf dem Parcours standhalten, holten in der Vielseitigkeit ihre zweite Goldmedaille nach 1976 im kanadischen Bromont. Australien gewann Bronze. In der Einzelwertung, die im dramatischen Finalspringen entschieden wurde, holte sich der Franzose Astier Nicolas auf Piaf Silber, Bronze ging an den Amerikaner Philip Dutton auf Mighty Nice. Für die deutsche Olympiamannschaft lieferten die Buschreiter – wie schon vor vier Jahren in London – die ersten zwei Medaillen bei diesen Spielen.
Michael Jung sagte wenige Minuten nach seinem Triumpf: „Mein Sam hat wieder großartig für mich gekämpft. Es war wirklich ein schwerer Wettkampf. Am Ende haben wir bewiesen, dass wir zu recht als Favoriten nach Rio gekommen sind.“ Dabei liefen dem 34-jährigen Profi dann doch die Tränen übers Gesicht. Mit seinem zweiten Olympiasieg hintereinander schließt Jung zur Neuseeländischen Legende Sir Mark Todd auf, der mit seinem Pferd Charisma 1984 in Los Angeles, und 1988 in Seoul Einzelgold holte. „Toddy“ belegte mit seinem Holsteiner Leonidas gestern Rang sieben – bei seinen achten Olympischen Spielen.
Seit der Europameisterschaft von 2011 in der Lüneburger Heide waren die deutschen Buschreiter ungeschlagen. Damals hieß der Sieger Michael Jung auf Sam sowie sein Team. Am 30. Juli 2012 feierte der Berufsreiter aus Horb im Greenwich Park zu London seinen 30. Geburtstag, beschenkte sich mit dem Einzelgold und führte seine Mannschaft zu Gold. 2013 gab’s in Malmö, am Strand der Ostsee, für Jung den EM-Titel auf Halunke, dazu wieder den Mannschaftstitel. Bei der WM 2014 erritten Jung, Klimke & Co. erneut Gold, Sandra Auffahrth holte den Titel vor Michael Jung.
Vor einem Jahr am schottischen Blair Castle gratulierte die Queen Michael Jung höchstpersönlich zum dritten EM-Titel hintereinander, die deutschen Favoriten triumphierten. Eine beispiellose Siegesserie, die auch in anderen olympischen Disziplinen ohne Beispiel ist. Der Brite William Fox-Pitt, nach einem schweren Sturz im letzten Jahr tagelang im Koma, jetzt wieder bei Olympia am Start, sagte:
„Es ist keine Schande, von Michael Jung geschlagen zu werden. Er hat auch hier in Rio wieder gezeigt, dass er nicht nur die Weltrangliste anführt, sondern mit Abstand der beste von uns allen ist.“
Die reitsportliche Fachwelt fragte sich seit geraumer Zeit: Wann kommt die erste, die unvermeidliche Niederlage für das Team von Bundestrainer Hans Melzer? Als haushohe Favoriten nach Rio gereist, fühlten sich die Reiter in den ersten zwei Disziplinen zu siegessicher, der unbedingte Kampfeswille war nicht so ausgeprägt. Michael Jung, der bereits in der Dressur patzte, sich einen Fehler leistete, wie er auf seinem reiterlichen Niveau eigentlich nicht passieren darf, sagte vor dem Springfinale: „Leider war der Geländekurs des Franzosen Pierre Michelet einen Tick zu schwer, sodass es zu viele unschöne Bilder gab.“ Hans Melzer wurde noch deutlicher:
„Der Geländeritt war keine Werbung für unseren Sport.“ Und Ingrid Klimke sagte: „Wir haben so viele Jahre mühsame Aufbauarbeit geleistet. Jetzt müssen wir Rio genau analysieren und schauen, dass die Geländeritte wieder so konzipiert werden, dass auch die schwächeren Reiter ohne Blessuren sicher ins Ziel kommen.“
Die aufschlussreiche Statistik des Geländeritts vom Montag stützt diese Kritik: Von 65 Pferden schieden im Gelände 16 aus, fünf Stürze waren zu notieren, alle jedoch glimpflich. Nur drei Pferde liefen fehlerlos: Sam unter Michael Jung, Santano unter Christopher Burton und Pi de B’Neville unter dem Franzosen Astier Nicolas. Jungs kritischer Kommentar: „Selbst ich bin im Gelände nicht wie sonst zum flüssigen Reiten gekommen, musste ein ums andere Mal eingreifen und kämpfen, um mit Sam die richtige Linie zu halten.“
Fazit des olympischen Dreikampfes der Reiter 2016: Die Hälfte der Starter ritt auf einem bestens präparierten Geläuf, an dem jedoch keine Zuschauer mehr standen. Eine Ödnis, wie man sie bei Olympia noch nie erlebt hat; in London 2012 säumten 50 000 Menschen den Kurs, in Rio waren es kaum mehr als 5000. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Vielseitigkeit ist in Brasilien völlig unbekannt und wird sich dort auch nicht etablieren.
Gleiches gilt für die Dressur, die am Mittwoch ihren ersten Tag hat. Für Deutschland starten zunächst Dorothee Schneider und Sönke Rothenberger, am Donnerstag folgen Kristina Bröring-Sprehe und Isabell Werth. Dieses Quartett gilt als Favorit auf die Goldmedaille, die am Freitag nach dem Grand Prix Spezial vergeben wird.