Ein neuer Teamgeist beflügelt die deutschen Spitzenreiter

Nach dem Gewinn der dritten Goldmedaille im dritten Wettbewerb ist die Stimmung im deutschen Reiterlager prächtig. Doch schon richtet sich der Blick wieder nach vorn: In der Einzeldressur und im Springen locken drei weitere Goldmedaillen.

Gestern haben die glorreichen deutschen Buschreiter Hongkong verlassen, den Ort ihres größten sportlichen Triumphes, und sind auf dem kleinen Flughafen Münster-Osnabrück begeistert empfangen worden. Zuvor jedoch haben Hinrich Romeike, der Doppelolympiasieger, und seine Freunde noch einmal die Nacht zum Tage gemacht.

Denn im Riverside-Hotel stieg unter ihrer kräftigen Mitwirkung die zweite bemerkenswerte Siegesfeier dieser olympischen Reiterspiele: Isabell Werth und Anky van Grunsven, dazu alle anderen deutschen, niederländischen und dänischen Dressurstars tanzten und sangen gemeinsam so ausgelassen wie noch nie. Sie hatten Gold, Silber und Bronze gewonnen – wenn das kein Grund zum Feiern ist!

Die meisten Niederländer haben ihre Niederlage gegen die deutsche Dressurequipe im Mannschaftswettkampf sportlich fair weggesteckt – nur Sjef Janssen, ihr mächtiger Trainer und Manager, brachte es nicht über sich, zur gemeinsamen Feier zu erscheinen. Er trägt die Verantwortung dafür, dass sein Troi, angeführt von seiner Frau Anky, nicht den Hauch einer Chance besaß gegen Isabell Werth, Heike Kemmer und Nadine Capellmann. Einer aus dem Stab der deutschen Trainer sagt es so:

„Die Holländer haben ihre Pferde im Training gewürzt und gewürzt.“

Das bedeutet in der Reitersprache: Immer und immer wieder die schwierigen Lektionen, stundenlanges hartes Exerzieren. Dabei verlieren die vierbeinigen Athleten nicht nur viel Kraft, sondern auch die Freude an der Bewegung und letztlich ihre Leichtigkeit und ihre Ausstrahlung im Wettkampf.

Für die Pferdekenner ein untrügliches Zeichen: Salinero, Nadine und Sunrise, die Pferde von Anky van Grunsven, Peter Minderhoud und Imke Schellekens-Bartels, kamen schweißgebadet in die Arena und vermochten dort nicht zu glänzen. Satchmo, Bonaparte und Elvis, die Pferde von Isabell Werth, Heike Kemmer und Nadine Capellmann, hatten trotz der subtropischen Temperaturen fast ein trockenes Fell.

Wolfram Wittig, der Trainer von Isabell Werth, sagt: „Wir haben in aller Ruhe abgewartet, bis die Pferde akklimatisiert waren. Dann haben wir die Trainingsarbeit vorsichtig dosiert. Das wichtigste ist doch, dass sie ihre Gehfreude, ihre Lust an der Bewegung nicht verlieren.“ Diese Taktik, so Wolfram Wittig, sei „auch der Grund dafür, dass die Dänen hochverdient Bronze gewonnen haben vor den favorisierten Amerikanern“.

Nach ihrem glänzenden Ritt im Mannschaftswettkampf, den sie gegen Anky van Grunsven mit 76,4 zu 74,7 Prozentpunkten mehr als deutlich gewann, ist Isabell Werth die klare Favoritin für die Einzelkonkurrenz. Die 38-Jährige redet gar nicht lange um den heißen Brei herum: „Na klar, jetzt will ich auch das Einzelgold!“ Ihr Satchmo sei in der Form seines Lebens.

„Wenn es mir gelingt, mich im Grand Prix Spezial am Samstag zu steigern, und wenn es mir glückt, meine neue Kür am Dienstag so zu präsentieren, wie ich mir das vorstelle – dann sehe ich eine reelle Chance.“ Für Werth wäre es das zweite Einzelgold nach ihrem Sieg auf Gigolo 1996 in Atlanta. Und es wäre ihr sechstes Olympiagold, damit käme sie auf ein und dieselbe Stufe mit dem legendären Reiner Klimke.

Anky van Grunsven allerdings, die 2000 im Sydney mit Bonfire Gold holte – übrigens vor Isabell Werth mit Gigolo – und die 2004 in Athen mit Salinero siegte – dieser populäre Dressurstar aus den Niederlanden erkannte in Hongkong schon frühzeitig, dass der heiß ersehnte Sieg über die Deutschen und damit das erste Teamgold für die Niederlande ein Traum bleiben würden. Nach der Niederlage sagte sie überraschend:

„Bei den nächsten Olympischen Spielen 2012 in London werde ich nicht mehr teilnehmen – es sei denn, ich habe bis dahin das passende Pferd.“

Das bedeutet im Klartext: Ihr 14-jähriger Salinero, der einst als junges Pferd von dem baden-württembergischen Dressurausbilder Holger Schulze geritten wurde, bestreitet in Hongkong seine letzten Spiele – womöglich sogar sein letztes großes Championat. Das gilt nicht für den gleichaltrigen Satchmo von Isabell Werth: „Wenn er fit und gesund bleibt, sind die Weltreiterspiele 2010 in Lexington/Kentucky natürlich mein Ziel.“

Der Erfolg der deutschen Dressurreiter, an den im eigenen Lager bei weitem nicht alle geglaubt haben, hat freilich nicht nur mit dem professionellen Management zu tun, sondern mit einem neuen Teamgeist, den es früher so nicht gegeben hat. Der „Zickenkrieg“ zwischen den Dressurdamen nahm in der Vergangenheit mitunter groteske Züge an. Davon war in Hongkong nichts mehr zu spüren.

Martin Richenhagen, der neue Equipechef, Dressurexperte und Manager eines US-Unternehmens in Atlanta, sagt: „Alle ziehen an einem Strang, alle haben einen tollen Job gemacht – das gilt nicht nur für die Reiter, sondern auch für die Trainer, die Pfleger, die Tierärzte, einfach alle. Nur so ist dieser Erfolg möglich.“

Drei Goldmedaillen hat die deutsche Reitermannschaft bisher gewonnen – drei weitere wären möglich: eine in der Dressur, zwei im Springen. Schon heißt es unter den Reitern der anderen Nationen: Die Deutschen werden wieder ihrem alten Ruf gerecht – wenn es drauf ankommt, sind sie kaum zu schlagen. Mit dem Rückenwind, der nun herrscht, wäre es keine Überraschung, wenn die übrigen drei Goldenen alle nach Deutschland gingen.