Der internationale Springsport gerät auf gefährliches Terrain

Als die olympische Fahne am Reitstadion von Sha Tin eingeholt wurde, kam der Taifun Nuri über das chinesische Meer. Ein Ereignis mit Symbolkraft. Den Springreitern aus aller Welt bläst tatsächlich der Wind kräftig ins Gesicht.

„Jetzt bin ich müde und platt“, sagte Ludger Beerbaum zu später Stunde in Sha Tin. Es war bereits ein Uhr nachts. Gerade hatte er, gemeinsam mit Teamtierarzt Björn Nolting und Reinhardt Wendt, dem Leiter der deutschen Olympiareiter, bei Reinhold Beckmann in der ARD Rede und Antwort gestanden. „Das alles schadet unserem Sport gewaltig“, sagte der Mann aus Riesenbeck, der am 26. August 45 Jahre alt wird. Die Reiterverbände, der deutsche wie der internationale, seien gefordert, „endlich ihre Hausaufgaben zu machen“. Solle heißen:

„Die Vielzahl der Medikamente, mit denen wir unsere wertvollen Pferde pflegen und behandeln, ist so verwirrend, dass selbst viele Tierärzte nicht wissen, was erlaubt ist und was nicht.“

Björn Nolting, der Teamtierarzt der deutschen Reiter, pflichtete Beerbaum bei: „Das Labor des Hongkong Jockey Club hat das Blut und den Urin der 15 getesteten Springpferde auf 80 verschiedene Substanzen untersucht. Als ich den Namen Casaicin hörte, habe ich erst einmal im Internet nachgeschaut, wo das überall drin sein könnte. Ich bin sogar auf Futter für Kois gestoßen.“

Dann sagte Nolting: „Dennis Lynch, der wie Christian Ahlmann suspendiert worden ist, hat mir gesagt, sein Pferd sei in dieser Saison, zuletzt beim CHIO in Aachen, siebenmal negativ getestet worden. Dabei wende er – wie viele andere Reiter auch – das Gel mit dem Namen „Equibloc“ immer wieder an.

Andere Spitzenreiter äußerten sich anders. Meredith Michaels-Beerbaum, sichtlich enttäuscht darüber, dass sie bei ihren ersten Olympischen Spielen nur um zwölf Hundertstel an der Bronzemedaille vorbeigeritten und vierte geworden war, sagte: „Ich habe von diesem Mittel noch nie etwas gehört.“ Rodrigo Pessoa, der Olympiasieger von Athen, im Finale von Sha Tin auf Platz fünf, erklärte: „Ich kenne dieses Mittel nicht. Die Vorfälle schaden der Publicity unseres Sports. Das war kein guter Tag für uns alle.“

Eines aber wissen Topreiter seit langem: Mehr und mehr gibt es auf den internationalen Springturnieren in Europa und Übersee Millionen an Preisgeldern zu gewinnen. Allein die „Global Champions Tour“ bricht mit drei Millionen US-Dollar alle bisherigen Rekorde. Im Oktober veranstaltet die Milliardenerbin Athina Onassis in Sao Paulo das Finale, wohin sie 20 Reiter aus Europa auf ihre Kosten einfliegen lässt – das Preisgeld für den Sieger: 500 000 Euro.

Das ist nicht die einzige hochdotierte Springserie. Die Superliga für die Nationenpreise, der Weltcup in der Hallensaison und die deutsche Riderstour locken ebenfalls, die Zahl der lukrativen Turniere war noch nie so hoch . Alle Veranstalter wollen möglichst die Toppferde am Start sehen, um ihre Sponsoren und ihre Zuschauer zufrieden zu stellen. Die Verlockungen des großen Geldes führen zwangsläufig dazu, dass die häufig überanstrengten Pferde nicht ohne Medikamente auskommen.

Vielen Profireitern fehlt das Unrechtsbewusstsein: „Wir wollen doch, dass es unseren Pferden gut geht“, sagt Heiner Engemann, Ersatzreiter in Hongkong und Präsident des Clubs Deutscher Springreiter. Dabei müsse sich jeder bewusst sein, „dass wir auf einem schmalen Grat wandeln.“ Einer, der auf diesem schmalen Grat fast abgestürzt wäre, ist Eric Lamaze, der neue Olympiasieger aus Ontario in Kanada. Zweimal schon ist er mit Kokain erwischt worden. Mit der Goldmedaille um den Hals sagte er jetzt:

„Mit der Hilfe meiner Familie, meiner Freunde und Sponsoren bin ich in den Sport zurückgekehrt. Die Leute haben mir verziehen. Vergangenheit ist Vergangenheit.“

Der 40-jährige Profi weiß genau, dass seine Goldmedaille für ihn noch mehr ist, als ein Sechser im Lotto: „Mein zwölfjähriger Hengst Hickstead stammt aus den Niederlanden. Er ist für die Zucht zugelassen und wird im nächsten Jahr in den Deckeinsatz gehen.“ Auf diese Weise kann Lamaze Millionen verdienen.

Natürlich feierten Lamaze und seine kanadischen Fans den Erfolg von Hongkong ausgelassen. Die Bar im Riverside-Hotel, wo Tage zuvor die Deutschen so ausgelassen gesungen und getanzt hatten – in der letzten Nacht der olympischen Reiterspiele war sie fest in kanadischer Hand. Mitten im Gedränge tanzte sich Breido Graf Rantzau, der deutsche Reiterpräsident, seinen Frust von der Seele.

Den Tag über hatte er sich irgendwo im Stadion verkrümelt und die anderen vorgeschickt. Doch der Taifun über Hongkong und über den Reitern ging auch an dem Landadeligen aus Holstein nicht spurlos vorüber. Wenn er heimkehrt, wird ihn der Fall Ahlmann einholen. Gestern wurde, trotz Taifun Nuri, die B-Probe geöffnet. Anfang nächster Woche wird man wissen, wohin die Dinge sich entwickeln.